Kohle, Hunde, Prag

Entre nous, Martin Becker!

Martin, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Den allerersten Anfang tatsächlich in ein Notizbuch, als ich vor zwei Jahren an der Nordsee war. Den Rest von «Marschmusik» überwiegend am Schreibtisch in meinem Leipziger Büro. Und die letzten zwanzig Seiten in einem Kölner Hotelzimmer in der Nacht vor der Abgabe.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Auf jeden Fall um die Frage danach, was letztlich bleibt, wenn alles verschwunden ist. Ich komme aus einem sehr proletarischen Milieu, mein Vater war Bergmann, meine Mutter Näherin. Mein Vater ist vor einigen Jahren gestorben, meine Mutter ist sehr krank – und jetzt schließen im Ruhrpott die allerletzten Bergwerke, und damit endet – auch kulturgeschichtlich – 2018 eine ganze Epoche. Aber neben dem autobiographischen Aspekt geht es eben vor allem um diese große Allgemeinfrage: Woraus ist man gemacht? Und wie wackelig fühlt man sich, wenn es eben keine Sicherheit mehr gibt, keinen Halt, nur noch sich selbst und das eigene seltsame Leben?

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Ich habe mich schon sehr lang mit dem Thema der Herkunft beschäftigt. Das ist mit der «Marschmusik» – zumindest vorerst – für mich abgeschlossen. Jetzt kann ich mich wieder den Dingen widmen, die mich neben der eigenen Herkunft auch immer schon interessiert haben: Liebeskummer und Hunde, beispielsweise. Darüber schreibe ich gerade einen Essay, der auf der Geschichte von Karenin basiert – der Hündin in Milan Kunderas «Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins». Und damit ist auch schon ein anderes Lebensthema angesprochen: Tschechien. Seit zehn Jahren mein Sehnsuchtsort. Gerade aktuell will ich für mindestens ein Jahr einfach in Prag leben. Und schauen, ob danach noch so viel vom Zauber bleibt (wovon ich aber ausgehe). Ja, die tschechischen Bücher, das tschechische Leben, die tschechische Kneipe – alles Dinge, die mich literarisch bewegen und beschäftigen.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Tatsächlich gibt es diese drei Dinge, von denen ich scheinbar nicht loskomme: Herkunft, Hunde, Liebe. Na gut, und tatsächlich die tschechische Art des Erzählens. Neu ist für mich vielleicht, dass ich mich mittlerweile nicht mehr davor fürchte, von der Form her neue Dinge zu versuchen: «Marschmusik» war ein extrem autobiographischer Roman – und vor einigen Jahren hätte ich im Traum nicht daran gedacht (ich wollte ja immer gern so sein wie Beckett, leider Misserfolg), dass ich so etwas jemals schreiben wollen würde oder könnte. Und jetzt schreibe ich tatsächlich einen zeitgenössischen Liebesroman, in dem sogar englischsprachige Songtexte vorkommen! Das ist neu und aufregend und ich habe keine Ahnung, ob es am Ende gut wird. Aber das wird man sehen.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Die «Marschmusik» war ein richtiger Kampf. Noch nie war ich so oft krank, als ich an etwas gearbeitet habe. Zehn Mal innerhalb eines Jahres. Ich habe also gemischte Gefühle. Es überwiegt die Erleichterung, dieses Ding geschrieben zu haben, ganz klar. Aber so darf ich nicht mehr arbeiten. Knapp die Hälfte des Buches ist in wenigen Wochen und unter sehr abenteuerlichen Umständen entstanden – das kann ich sicher mal machen, aber gesund ist es nicht. Was ich nicht missen möchte, das sind die Recherchen: Ich war selbst bei laufendem Betrieb tief unter der Erde und habe mit den Bergleuten Zeit verbracht. Das werde ich nie wieder vergessen.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Ich hoffe natürlich, dass die Geschichte des Bergbaus auf Interesse stößt. Es gibt einen Arbeitstag im Leben eines Kohlenhauers in den Fünfzigern, beispielsweise – das war eine ziemliche Arbeit, das alles zu recherchieren und dann noch literarisch umzusetzen, also bin ich gespannt, wie es angenommen wird. Und hoffentlich wird das Buch nicht als rein autobiographischer Sachbericht über Martin Becker gelesen – das ist es nämlich überhaupt gar nicht, deshalb steht ja Roman auf dem Umschlag.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Das ist sehr schwierig! Einerseits tauchen meine Themen wieder auf. Andererseits ist es halt nicht so verkopft und verstiegen und wesentlich leichter zu lesen, denke ich. Insofern war es in der Tat ein Neuanfang – und gleichzeitig merke ich, dass mir eine gewisse (neue) Leichtigkeit beim Schreiben unglaublich gut tut. Das bleibt hoffentlich auch für eine Weile so.

Martin Becker, «Marschmusik», Roman,
Luchterhand Literaturverlag, München 2017, geb., 288 Seiten.

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