Ohne die lustige Frisur

Jeremias Gotthelf und der Golem im Emmental

Sie kennen es, liebe Lesende, bestimmt von Ihren eigenen Koch-Erfahrungen: Allein die Tatsache, dass Sie gute Zutaten mischen, führt noch nicht zum Erfolg. Die Zutaten, aus denen Benedikt Eggenberger, Gregor Gilg und Barbara Schrag ihre Graphic Novel «Golem im Emmental» zusammengebrüht haben, sind so exzellent wie unterschiedlich. Da wird Quentin Tarantino kombiniert mit dem Lehmriesen Golem, und abgeschlöscht mit einem kräftigen Schuss Schneewestern. Als Kulisse dient ausgerechnet das Emmental. Aus dieser Mischung könnte schnell ein ziemlicher Käse entstehen.
Das Gegenteil ist der Fall. Die teils holzschnittartigen, teils feinen Figuren passen hervorragend zu dem Text in den Sprechblasen, und die Erzählung ist so geschickt komponiert, dass man gar nie dazu kommt, sich zu fragen, warum jetzt ausgerechnet Albert Bitzius alias Jeremias Gotthelf in einem Western vorkommt.
«Golem im Emmental» ist eine zärtliche Hommage auf vieles, nicht aber auf Jeremias Gotthelf. Die Bauernwelt, in die der Jude Mendel mit seinem Golem auftaucht, ist so xenophob und frauenfeindlich wie vieles in Gotthelfs Texten. Während man aber beim Emmentaler Dichterpfarrer oft auf die Binnenerzählung warten muss, bis es spannend wird, ist der Golem im Emmental packend vom Anfang bis zum Schluss.
Nebst Intrigen und Gewalt begegnen wir einer lakonischen Liebe und einer zusammengewürfelten Gesellschaft rund um die tolerante und starke Frauenfigur Hanni, der keiner etwas vormachen kann.
Es fehlt fast nichts in dieser Graphic Novel. Das einzige, was fehlt, ist die lustige Frisur des Golems, wie wir sie aus der wohl bekanntesten Version, Paul Wegeners Golem von 1920, kennen.
Spätestens seit dem 12. Jahrhundert hat der Golem zahlreiche Autoren inspiriert. Ein Teil dieser Faszination liegt bestimmt darin begründet, dass es ein beschriftetes Stück Papier ist, das, eingeführt in den Mund, unbelebte Materie zum Leben erwecken kann. Das ist letztlich auch, was gute Literatur ausmacht: Aus unbelebter Materie wird Leben, mit grosser Kraft. Man spürt die Hitze in diesem Buch, fühlt den Schneesturm und hört in der Ferne eine kleine unheimliche Melodie.

Iris Meier

Benedikt Eppenberger, Gregor Gilg, Barbara Schrag,
«Golem im Emmental», Graphic Novel, Zürich 2016,
Wickelbroschur, 304 Seiten.

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