Höchste Zivilisationsstufe

Entre nous, Benjamin von Wyl!

Benjamin, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Auf dem Bauch liegend! Vor allem am Anfang, es ist ein Zivilisiert-Werden. Die ersten Szenen, ich glaube, die ganze erste Fassung von «Hyäne. Eine Erlösungsfantasie», entstand auf der Matratze, auf den Ellenbogen abgestützt. Ab dem Punkt, an dem ich das Gefühlt hatte, dass das eine Geschichte werden kann, sitzend am Schreibtisch zuhause, an langen Tagen in der Basler Unibibliothek (Tage, die ich nun in der Pandemie sehr vermisse) und an meinem Atelierplatz beim Erismannhof in Zürich. Die höchste Zivilisationsstufe erreichte ich, als ich die letzte grosse Überarbeitung für den Sommer 2019 GEPLANT habe. Dafür hab‘ ich mich in Räume der ehemaligen Schokoladenfabrik Cima Norma S.A. im Tessiner Bleniotal zurückgezogen. Dort – mittlerweile nennt sich der Ort Cima Citta – durfte ich bereits mein erstes Buch fertig schreiben.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Kürzlich hab’ ich als Antwort auf die Frage in ein Chatfenster geschrieben: «Resistance is global (and futile)», also: Widerstand ist global (und zwecklos). Es erzählen drei wohl bitz grotesk überspitzte Figuren, wie sie Beschleunigung erleben - ob sie ein globales Leben führen oder im Grösser, Höher, Weiter nicht mitgemeint sind. Die drei sind: eine Frau zwischen Callcenter- und Garderobenjobs, eine radikale Aktivistin und ein disruptiver Unternehmertyp. Sie suchen sehr gegensätzlich Wege, widerständig zu sein, mühen sich digital und analog ab. Die märchenhafte Erlösung – «vom Menschsein», wie es der Verlag nennt – lösen dann aber die zehntausenden Angestellten des Grosskonzerns Neocitranis, die sich verschworen haben, aus.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Gesellschaftliche Verhältnisse, gespiegelt in Figuren: Zwang, Normen, Habitus, Identität, Geschlecht, (Versuche von) Gemeinschaft. Und immer auch das Zusammenspiel von Einzelblick und den kollektiven Wahrheiten, von Medien, von Kirchen, von Familien.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Ich glaub’, grundsätzlich interessieren mich immer dieselben Themen. Man nimmt die immer gleichen Dinge ja aus konstant wechselnder Warte war.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Sie fühlt sich sehr lange her an. Das Gefühl hatte ich schon vor der Pandemie und hat sich seither massiv verstärkt: Im März, im April war Beschleunigung nicht drängend, und ich fand mich lächerlich, weil es doch ein Text mit dystopischen Elementen ist. Einige Wochen lang fand ich Dystopien generell lächerlich. Mittlerweile hat sich das gelegt – und doch eine zusätzliche Schicht zwischen mir und dem schreibenden Benj geschaffen.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buches?
Eine erste Rückmeldung war, dass man zur Lektüre nicht essen kann und dass es um Körper, Digitalität und Lust gehe. Das kann man so sehen. Ich bin sehr gespannt und hoffe in Diskussionen, meinen Blick und meinen Zugang zum eigenen Text auch noch zu verändern. Feedback find’ ich immer erlösend, weil man dann nicht mehr alleine mit dem Buch ist.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Schwierig, eine Selbsteinordnung. Es ist das zweite. Ich hatte weniger das Gefühl, mir oder irgendjemandem was beweisen zu müssen. Im Machen war ich entspannter. Das macht es vielleicht reifer?


Benjamin von Wyl, «Hyäne. Eine Erlösungsfantasie»,
Roman, LectorBooks, Zürich 2020, geb., 192 Seiten.

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