Ausgespien werden

Entre nous, Simone Meier!

Simone, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Zum ersten Mal integral in der Schweiz. Coronabedingt. Also in Zürich an meinem Schreibtisch. Im Engadin in der unfassbar eleganten Gästesuite von Romana Ganzoni mit Aussicht auf den Inn und Besuch von Hündchen Lulu. In einem entzückenden Fischerhäuschen direkt am Neuenburgersee, wo die Gischt an die Balkonbrüstung spritzte. Immer wieder irgendwo im Tessin, wo die Kellner mein Liebesleben und mich mittlerweile kennen und wissen, welche Weine wir gerne trinken.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Tom Kummer sagte mal zu mir: «Ich glaube fast, in deinem nächsten Buch geht’s um Sex Education.» Da lag er, was meinen neuen Roman «Reiz» anbelangt, nicht falsch.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Als Journalistin interessieren mich tausend Dinge, die mit unserer immanenten Gegenwart zu tun habe. Als Schriftstellerin bin ich vor ihr geflohen. Denn obwohl mein neuer Roman «Reiz» jetzt spielt, kommt zum Beispiel Corona nicht drin vor. Dafür die ewigen Themen Jugend, Altern, Liebe, Libido. Gerade Sexualität ist als Motiv unendlich ergiebig, weil auf ihrem Feld fast alles möglich ist, was ein Mensch dem andern antun kann: Zärtlichkeit, Ekstase, Unterwerfung, Verletzung, rohe Gewalt. Vieles, was wir dabei erleben, schreibt sich für lange Zeit in unser Körpergedächtnis.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Ob sie nach «Fleisch» und «Kuss» neu sind? Wohl kaum!

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Es war ein Rausch. Erstens inhaltlich, weil sich meine Figuren in fast jedem Kapitel einmal gehen lassen dürfen. Beim Sex, in Träumen oder in Erinnerungen. Und da muss dann auch die Autorin loslassen, sonst wird es nichts mit den Entgrenzungen. Zweitens formal, was vor allem in der Arbeit mit meiner Lektorin geschah. Die Lesenden sollen sich treiben lassen, sollen sich quasi auf Seite eins in die Lektüre hineinlegen können und auf der letzten mit einem glücklichen Seufzer ausgespien werden. Und damit diese Erzählstrategie aufgeht, braucht es verrückt viel Arbeit. Meine Lektorin und ich haben uns gegenseitig in diesen Rausch des Perfektionierens hineingesteigert, immer hatte eine von uns noch eine Idee, wir machten doppelt so viele Durchgänge wie bei den beiden Romanen zuvor, und irgendwann wussten wir: Jetzt ist gut.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Nein, das verbiete ich mir, sonst werde ich verrückt. Aber ich für mich bin sehr zufrieden. Ich kann's nicht besser.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Publikationen?
Selbstverständlich ist «Reiz» mein bisher bestes Buch ;-)

Simone Meier, «Reiz», Roman, Verlag Kein & Aber,
Zürich 2021, geb. 256 Seiten. Erscheint am 16. Februar.

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