Etwas wirklich leben

Entre nous, Daniela Engist!

Daniela, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Zwei Drittel des Romans «Lichte Horizonte» entstanden innerhalb von zwei Wintermonaten in einem eingeschneiten Häuschen im Schwarzwald, das einem Freund gehört, und einem Ferienhaus in der Bretagne, das ich ausnahmsweise außerhalb der Saison mieten konnte. Das letzte Drittel wuchs erst später aus der Mitte des Textes, nach einem Gespräch mit meinem Verleger am Rande eines Fußballspiels. Wenn er sich nicht irre, sei da noch etwas zu erzählen, sagte er auf diese ganz beiläufige Verlegerart. Ich habe es dann im Sommer zu Hause in Freiburg an meinem Schreibtisch mit Blick auf die Gärten zwischen den Häusern geschrieben.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
An der Oberfläche geht es um den möglichen Beginn einer Affäre – ein etablierter Künstler macht einer Debütantin Avancen – und die Frage, ob man etwas wirklich leben muss, damit es wahr wird. Aber was mich besonders interessiert hat, war, wie die Bilder, die wir uns von anderen machen, entstehen und wie Erinnerungen funktionieren. Das, was wir in den anderen sehen, sagt oft mehr über uns selbst aus als über unser Gegenüber, und wenn wir glauben, uns an etwas zu erinnern, hat die Art, wie wir das tun, meist mehr mit der aktuellen Situation zu tun, als mit dem, wie es tatsächlich gewesen ist. Unsere Erinnerung wählt aus, verzerrt oder erfindet dazu, gerade so, wie es uns gegenwärtig am besten in den Kram passt. Es ist ein kreativer Prozess wie das Schreiben selbst.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Mich reizt das Thema des weiblichen Blicks, besonders nachdem der Held meines ersten Romans ein Mann war. Die Literatur ist voll von Männern, die auf Frauen schauen. Frauen schauen auch. Nur anders. Ich wollte sehen, ob es gelingen kann, ohne Ausweichbewegung von der Liebe zu schreiben, von Begehren und Kreativität. Es wäre leicht gewesen, sich über das Männer-Frauen-Thema lustig zu machen oder sich in Lakonie zu flüchten. Aber das hat mich nicht interessiert.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Mein Debüt war eine Realsatire auf das Arbeitsleben. Liebe kam da nur in Spurenelementen vor. Überhaupt waren Gefühle Mangelware, abgesehen von Neid und Scham und Wut und Größenwahn, das eher männliche Zeug eben. Und doch gibt es in beiden Büchern Themen, die mich schon immer umgetrieben haben, und mit denen ich wohl nicht so schnell fertig werde, wie etwa die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, Dinge zu benennen und sprachlich festzulegen, das Misslingen und Gelingen von Kommunikation, das Verhältnis von Wahrhaftigkeit und Lüge im außermoralischen Sinne und die Bedingungen und Grenzen von Wahrnehmung und Erkenntnis.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Es fühlte sich selbst an wie eine Affäre! Die erste Fassung kam wie im Rausch, der zweite Anlauf war eher eine Verarbeitung. Dann blieb alles fast ein Jahr lang liegen, aus Gründen, die außerhalb des Buches lagen. Damals war ich darüber enttäuscht, aber als ich den Text dann wieder zur Hand nahm, merkte ich, wie gut der Abstand getan und was sich alles in der Zeit bewegt hatte.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Nein, jeder kann es lesen, wie er will, es bietet hoffentlich genug Lesarten, um nicht in einer Schublade zu landen. Nur mit dem Etikett «Frauenliteratur» würde ich mich schwertun. Verlagsvertreter sind ja manchmal schnell bei der Hand mit solchen Kategorisierungen. Wenn man nur drei Minuten hat, um ein Buch dem Handel schmackhaft zu machen …

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Publikationen?
Roman Nummer zwei. Mein erstes Buch, in der eine weibliche Hauptfigur «ich» sagt.


Daniela Engist, «Lichte Horizonte», Roman, Edition Klöpfer bei Kröner, Stuttgart 2021, geb., 200 Seiten. Erscheint am 18. März.

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