Geschlafen, aufgewacht, elendes Leben.

Reiner Stach und Kafkas junge Jahre

Man liest, als ob man selber Franz Kafka begleiten würde. Als ob man mit ihm in seiner elterlichen Wohnung sässe, ohne Privatsphäre, ohne warmherzige Bezugsperson. Man durchlebt die Wirren jener Jahre, die Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen, zwischen Juden und Nichtjuden.
Man zittert vor Schulprüfungen, wird promoviert und tritt die Stelle als überaus geschätzter Jurist der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt an. Man nähert sich dem anderen Geschlecht – auch weniger seriösen Vertreterinnen –, man trifft Freunde, geht mit ihnen auf Reisen, staunt über Erfindungen. Und immer steht das Schreiben von Tagebucheintragungen, Briefen und literarischen Versuchen im Vordergrund.
Reiner Stach schreibt auch den dritten und letzten Band seiner monumentalen Kafka-Biografie, «Die frühen Jahre», so anschaulich und lebendig, aber auch so hervorragend durch Recherche abgestützt, dass man dem scheuen, in sich verstrickten Franz, wie auch dem Prag jener Jugendjahre, so nahe kommt, wie dies überhaupt möglich scheint. Vor kurzem wurde Stach dafür der Joseph-Breitbach-Preis verliehen.

Ruth Werfel

Reiner Stach, «Kafka. Die frühen Jahre», S. Fischer Verlag,
Frankfurt/M. 2014, Tb erscheint am 27. Oktober 2016, brosch., 608 Seiten.

using allyou.net