Affekt und Selbstverlust

Entre nous, Christoph Held!

Christoph, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Die «Bewohner» sind – während sieben Jahren – an unterschiedlichen Orten entstanden, zum Teil in Pflegeheimen, im Arztzimmer, zum Teil in der Wohnung eines Freundes in Berlin-Friedrichshain, wohin ich mich monateweise zum Schreiben zurückziehe.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Um alt und krank sein. Jeder Mensch wird in seinem Leben alt und krank. Als ich mich nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Regie- und Dramaturgieassistent am Theater wieder der Medizin und später der Psychiatrie und Geriatrie zuwandte, musste ich Gutachten schreiben und Krankengeschichten führen – das ist eine Schreibschule. Eine Krankengeschichte ist weit mehr als nur das Festhalten von Symptomen und Diagnosen.
Ich nenne meine Texte «Aufzeichnungen» – aber sie sind fiktional. Ich versuche, das «Klinische» ins Allgemeingültige zu überführen. So ist auch eine Art Zeitbogen über die alternde Schweiz entstanden. Ich bin selbst alt geworden und arbeite nun schon seit fast dreissig Jahren in den Pflegeheimen. Es wird mit mir einmal einen gleitenden Übergang geben.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Die «klinischen» Themen des Menschen, die Psychopathologie, die Veränderung der Persönlichkeit, die übersteigerten oder fehlenden Affekte, die Selbstbezogenheit und der Selbstverlust, die Enthemmung und – ach, der Blog hätte gar nicht genug Platz für alle klinischen Themen …

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Ja, sie sind Leitmotiv beim Schreiben und sie sind auch Leitmotiv in meinem eigenen Leben. Ich schreibe nicht mit dem distanzierten ärztlichen Blick über die Bewohner. Ich schreibe keine Fallgeschichten.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Die Niederschrift hat fast zu lange gedauert, als dass ich jetzt ein einheitliches Gefühl zu den «Bewohnern» entwickeln könnte. Die frühen Geschichten scheinen mir etwas weit weg, wie mir auch meine Erinnerungen etwas weit weg scheinen.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Eigentlich nicht. Meine Geschichten sind keine Ratgeberliteratur. Manchmal kommen Leser und sagen: «Ihr Buch hat mich berührt.» Das bewirkt bei mir das Gefühl einer kleinen Zufriedenheit.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Ich habe einige Fachbücher geschrieben. 2010 erschien dann der erste Erzählband, «Wird heute ein guter Tag sein?» Jetzt, bei den «Bewohnern», schreiben wir das Jahr 2017, und ich weiss nicht, ob mir noch einmal sieben Jahre gegeben werden. Ich habe einen hohen Anspruch an mein literarisches Schreiben. Man wird als schreibender Arzt misstrauisch beäugt und zwar gerade von zwei Seiten: Von den Schriftstellern und von den Ärzten.

Christoph Held, «Bewohner», Aufzeichnungen,
Dörlemann Verlag, Zürich 2017, geb., 160 Seiten.

using allyou.net