Gebet und Augenblick

Entre nous, Markus Günther!

Markus, wo hast Du Dein Buch geschrieben?
Angefangen habe ich mit dem Roman «Pietà» auf einer Eisenbahnfahrt von München nach Köln. Es waren ein paar Stunden wie im Rausch, da ist plötzlich etwas aus mir herausgebrochen, was sich lange aufgestaut hatte. Als ich aus dem Zug stieg, war vieles schon fertig, was später Bestand hatte, die ersten Sätze zum Beispiel, die Hauptfigur hatte einen Namen und eine Biographie, es gab schon Schlüsselszenen und einen roten Faden. Aber natürlich war es doch nur der Anfang eines langen Schreibens und Nachdenkens. Fertig geworden ist das Manuskript in meiner zweiten Heimat Washington.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
«Pietà» ist eine Coming-of-Age-Geschichte. Es geht um einen anfangs zwölf Jahre alten Jungen, der erwachsen werden will und muß und dabei viele Probleme hat, die die meisten Heranwachsenden haben. Bei ihm kommt aber noch eine Besonderheit hinzu: seine Überempfindlichkeit und seine Todesangst. Er versucht, vor dieser Angst davonzulaufen. Doch erst als er eines Tages die Laufrichtung ändert und sich dieser Angst stellt, wird er innerlich frei. Jetzt kann er das Leben bejahen. Man könnte auch sagen: So ist er erwachsen geworden.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Mich interessiert seit einigen Jahren immer weniger, was «außen» und was «aktuell» ist, was in der Welt und in den Nachrichten los ist, in den Zeitungen oder im Internet. Immer mehr interessiert mich das Zeitlose, die Kunst, die Literatur, die Natur, das Gebet, der Augenblick.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Die Tendenz hat sich verstärkt. Ich finde die Aktualität ermüdend und überwältigend. Sie nimmt mir die Luft zum Atmen und die innere Ruhe zum Nachdenken. Es ist für mich immer wichtiger geworden, der eigenen Erfahrung nachzugehen und mich mit den Erfahrungen anderer zu beschäftigen. Ich wollte mich befreien aus dem Klammergriff der Medien. Wer sich ständig dem Strom der Nachrichten aussetzt, unterwirft sich einer Macht, die Ablenkung schenkt und Phantasie raubt.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Mit Dankbarkeit. «Pieta» ist mir so wichtig, da werde ich mich immer freuen, daß ich dieses Buch schreiben konnte. Es war eine Reise durch die Landschaften meiner Seele, und es war eine aufregende, eine gute Reise.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Ich freue mich über jeden Leser. Es ist eine tief berührende Vorstellung, daß es Leser gibt, die sich mir als Erzähler anvertrauen und die, hoffe ich, in diesem Buch auch ihre eigenen Fragen wiederfinden, vielleicht sogar die eine oder andere neue Antwort auf diese Fragen.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Wenn ich nur ein Buch aus dem brennenden Haus retten könnte, dann dieses. Es bedeutet mir viel.

Markus Günther, «Pietà», Roman,
Fontis Verlag, Basel 2020, Geb., 256 Seiten.

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