Pursuit of happiness

Entre nous, Annette Mingels!

Annette, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Angefangen habe ich «Dieses entsetzliche Glück» in Hamburg, aber den größten Teil habe ich in San Francisco geschrieben, wo ich seit gut zwei Jahren lebe. Das ist auch der Grund, warum der Schauplatz in Amerika liegt, nicht in Deutschland: Ich wollte die früheren Erfahrungen (ich lebte schon mal zwei Jahre an der Ostküste) und die neuen Eindrücke von den USA in den Roman aufnehmen.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Es geht um Freundschaft, um Liebe, um Familie, und bei alldem um die Subjektivität unserer Wahrnehmung und unsere daraus resultierende Neigung, einander misszuverstehen.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
In den USA lebend, bin ich natürlich im Moment kopfmäßig sehr mit der hiesigen Politik beschäftigt. Was Trump angerichtet hat, ist so eminent und über die Tagespolitik hinausgehend, dass es – auch wenn er hoffentlich im November abgewählt wird – nachhallen wird. Neben der Verrohung des Diskurses, der weiteren Spaltung des Landes, der moralischen und ethischen Tabulosigkeit ist dies vor allem eine Verunsicherung bezüglich dessen, was «wahr» ist. Philosophisch gesehen ist der Begriff der Wahrheit ja durchaus umstritten – nach einzigen und allumfassenden Wahrheiten zu suchen, birgt immer eine Gefahr. Seit der Aufklärung gab es jedoch zunehmend einen Konsens, der dem wissenschaftlichen Denken eine zentrale Stellung zusicherte. Wissenschaftliches Denken ist nie sakrosankt und muss sich selbst immer wieder verifizieren. Gerade das macht es so wertvoll.
Was Trump nun unternimmt, ist eine totale und jederzeit für eigene Interessen zu instrumentalisierende «Egalität» der Ansätze: Indem er die Wissenschaft ebenso wie den qualitativ anspruchsvollen Journalismus immer wieder diskreditiert und Verschwörungstheorien und -propaganda auf dieselbe Stufe (oder sogar darüber) stellt, hat er eine durch die sozialen Medien noch verstärkte Ahnungs- und Haltlosigkeit breiter Bevölkerungsgruppen herbeigeführt.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv Deiner Arbeit?
Wissenschaftlich habe ich zum Thema Ideologiekritik gearbeitet – da ist Trump natürlich das Paradebeispiel eines die Ideologien nutzenden Machtmenschen, dem es nie um die Inhalte, sondern nur um den eigenen Vorteil geht. In meinem literarischen Schreiben spielt die Ideologiekritik nur insofern eine Rolle, als ich immer wieder die Subjektivität des Einzelnen zum Thema mache, allerdings sehr untheoretisch und nicht im politischen Sinne. Die Figur des Einzelnen, dessen Denken und Glauben stets subjektiv bleiben, ist mir vor mehr als zwanzig Jahren bei Kierkegaard begegnet und spätestens seit damals eine meinem Schreiben zugrundeliegende Konstante.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Ich kann sagen, dass mein neues Buch das Buch ist, das ich am liebsten von allen meinen Büchern geschrieben habe, und es ist auch das Buch, das mir am besten gefällt. Ich glaube, das liegt daran, dass ich mit dem Episodenroman eine Form gefunden habe, die mir erlaubt, meine Vorliebe für Kurzgeschichten auszuleben und gleichzeitig das größere Konstrukt des Romans zu errichten; ich liebe beides, und für mich ist es die ideale Verbindung.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buches?
Ich glaube, dass «Dieses entsetzliche Glück» wärmer und zugänglicher ist als meine bisherigen Bücher. Ich habe das Gefühl, dass viele Leser und Leserinnen stärker in den Text hineingezogen werden. Sicherlich wird es aber auch einige geben, die diese Mischung von Roman und Kurzgeschichten gerade nicht mögen. Wie es aufgenommen werden wird, dass ich als deutsche Autorin eine Art «amerikanischen Roman» ohne jede Bezüge zu Deutschland geschrieben habe, weiß ich nicht. Möglich, dass man das nicht goutiert, aber für mich überwog der Vorteil, durch neue Erfahrungen eine neue Facette meinem Schreiben hinzuzufügen.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Texte?
Meine Bücher besitzen keine innere Struktur, die sie miteinander verbindet, auch wenn sich Themen wiederholen. «Dieses entsetzliche Glück» steht für sich, wie auch meine anderen Bücher für sich stehen. Ich kann einzig hoffen, dass ich mit und an jedem meiner Bücher ein wenig wachse.


Annette Mingels, «Dieses entsetzliche Glück»,
Roman, Penguin, München 2020, geb., 352 Seiten.

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