Verschwinden

Entre nous, Patricia Büttiker!

Patricia, wo hast Du Dein Buch geschrieben?
Ein grosser Teil des Textes entstand in der Pestalozzibibliothek an der Zähringerstrasse in Zürich. Ich mag es, zu schreiben und gleichzeitig unter Leuten zu sein. Die Bibliothek steht allen offen, auch Menschen, die einfach nur hierherkommen, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Diese Mischung gefällt mir. Ein wichtiger Überarbeitungsschritt des Textes erfolgte dann in Meran.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Das Buch handelt von einer Nacht im Zimmer eines Krankenhauses. In dieser Nacht begleiten zwei Halbschwestern ihre Mutter in den Tod. Man erfährt etwas über die Beziehung der Halbschwestern, aber auch, wie die Schwestern zur Mutter stehen. In der Gegenwartsebene geht es also um Tod und Beziehung. Und es gibt die Vergangenheitsebene. Hier erinnert sich Esther, eine der Hauptfiguren, an ihre schmerzhafte Geschichte mit der Mutter. Ein weiteres, weniger offensichtliches Thema im Buch ist die Kunst. Das hat mit Esther zu tun, die Kunststudentin ist. Durch sie konnte ich einige Kunstwerke in den Text schmuggeln: Werke von Joseph Beuys; ein Bild von Caspar David Friedrich, das im Krankenzimmer hängt, sowie weitere Werke der Bildenden Kunst und des Films.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Diese Frage zu beantworten, ist nicht einfach. Die Themen kommen und gehen. Das kann eine aktuelle politische Diskussion sein, die mich interessiert; ein Fotoprojekt, das sich mit der Belagerung Sarajevos beschäftigt. Ein wiederkehrendes Thema ist sicher etwas, das ich mit sozialer Ungleichheit umschreiben würde. Was mich schon lange umtreibt, eigentlich seit meiner Jugend, ist die Klimakatastrophe. Damals sass ich heulend vor dem Fernseher, die Bilder abgestorbener Wälder flimmerten über die Mattscheibe.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Die Themen sind nicht neu. In meiner Arbeit gibt es einen Kern von Themen, um die mein Interesse kreist, eines ist die Einsamkeit. Ein anderes das Verschwinden. Ich bin betroffen, wenn ich von Menschen höre, die nicht ruhen können, ehe die sterblichen Überreste ihrer verschwundenen Angehörigen gefunden werden.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Es gab nicht nur die eine Niederschrift. Am Anfang stand der handschriftliche Text, den ich in den Computer übertrug. Danach folgten etliche Überarbeitungsschritte. Nicht einfach war es, den Text zu strukturieren: Welche Rückblenden folgen aufeinander? Wie gestalte ich die Gegenwartsebene? Wie gelingen die Übergänge? Es gab Phasen, da schrieb ich wie in einem Rausch. Und es gab Momente, da hätte ich das Manuskript am liebsten in die Limmat geworfen.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Bestimmte Erwartungen habe ich keine, ich lasse mich gerne überraschen. Trotzdem würde ich mich freuen, wenn einmal über das Licht im Text gesprochen wird. Schön wäre zudem, kämen die Tiere zur Sprache. Im Buch kommen einige Tiere vor: Esel, Fuchs, Hase … Gegen Ende des Buchs spielt eine Fliege eine wichtige Rolle.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Publikationen?
«Nacht ohne Ufer» ist mein erstes Buch. Daher kann ich es nicht mit anderen Büchern vergleichen. Es steht jedoch in Verbindung mit meinen Kurztexten. Es gibt Kurztexte, die mich nie losliessen, sodass ich sie immer wieder neu schrieb. Hier ist die Geschichte vom Kind zu nennen, das beim Versteckspiel vergessen wird. Oder die Geschichte vom Kind, das von der Mutter verlassen wird. Gerade diese beiden Texte sind, stark verdichtet, in den Roman eingeflossen.


Patricia Büttiker, «Nacht ohne Ufer», Roman,
edition bücherlese, Luzern 2021, geb., 128 Seiten.

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