Aussicht auf Feuer

Entre nous, Anna Baar!

Anna, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Den Roman «Nil» habe ich auf dem Wohnzimmerdivan geschrieben, was daran liegt, dass keiner meiner Räume eine beschauliche Nische für einen Schreibtisch bietet. Unvorstellbar wäre es, vom Schreibplatz aus ein Bett zu sehen, einen Kleiderschrank – oder zum Fenster hinaus. Jetzt sehe ich auf den selbstgemauerten Kaminofen, die einzige Wärmequelle im Haus. Winters also immer die Aussicht auf Feuer.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Die Frage bringt mich in Verlegenheit, denn es geht um viel und gleichzeitig um nichts. Als vor der Veröffentlichung zu klären war, was wir, also der Wallstein Verlag und ich, «dem Leser» über das Buch sagen, war das ein Dilemma für mich; nicht so sehr für den Verlag. Es braucht vielleicht den Blick von außen, um darauf Antwort zu finden. Leser wissen mehr als ich. Daher will ich am liebsten zurückfragen: Worum geht es? Sagt ihr es mir! Aus meiner Sicht geht es zum Beispiel um den Schreibenden als «Zauberlehrling», der die Figuren, die er in seinen Geschichten erschaffen hat, nicht mehr los-, ja selbst zur Figur wird. Und es geht um Irrungen auf dem Weg vom Ich zum Du, um das ewige Kreisen auf der Suche nach Heimat, die ja in Wahrheit keinen Ort meint, sondern in einem umfassenderen Sinn unsere Ankunft auf der Welt – also zutiefst menschliche Angelegenheiten.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Genau diese Dinge, das Sich-Finden im Du. Irgendwo habe ich neulich gelesen: Wir begegnen der Welt nicht so, wie sie ist, sondern so, wie wir sind. Das zeigt sich ja in dieser Zeit deutlich. Ich kenne Menschen, die sagen, das vergangene Jahr sei ein verlorenes, weil sie auf so viel verzichten mussten oder in verschiedene Nöte geraten sind. Und kürzlich sagte eine Bekannte dann, für sie sei es ein «geschenktes Jahr», weil sie mehr Zeit mit ihren Kindern und Haustieren verbringen konnte. Und sie ist nicht gerade das, was man privilegiert nennen würde, sondern alleinerziehend und durch die Schließung ihres Betriebs arbeitslos geworden.
Glück oder wenigstens Zufriedenheit sind oft weniger Fragen der Gegebenheiten an sich als Fragen der Sicht auf die Gegebenheiten. Es ist eine gute Übung, sich bewusst zu machen, in welches Licht man den eigenen und gesellschaftlichen Umgang mit Schutzbedürftigen (und da meine ich alle unsere Mitgeschöpfe), aber auch vermeintlichen Gegnern stellt, mit der Umwelt, mit Ressourcen, Krisen. Und es braucht die Selbstbefragung: In welchem Licht erscheint mir meine Herkunft, mein Tun und (Unter)Lassen, die eigene religiöse, sexuelle oder moralische Orientierung und so weiter. Wie finde ich all das?

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Sie sind das, worum bei mir alles kreist im Blick auf die Welt von wechselnden Standpunkten aus. Ich verdanke meiner gespaltenen Herkunft und dem Aufwachsen mit oft wechselnden Bezugspersonen die Fähigkeit und Bereitschaft, gegensätzliche Ansichten grundsätzlich nachzuvollziehen, Menschen in ihrer «Gewohnheit» zu verstehen, ihnen möglichst freundlich entgegenzutreten, auch wenn mich ihre Weltsicht mitunter verstört und empört. Aber natürlich gibt es Grenzen, wo ich kämpferisch werde.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Es waren Monate der bangen Vermutung, dass da etwas Bizarres, eigentlich Unmögliches im Werden ist, das sich meiner Einflussnahme weitgehend widersetzt. Der verzagte Einsager in mir wollte das Ungeheuer zähmen, ihm einen sanfteren Ton verpassen, klarere Erzählperspektiven, Struktur ... Mit der Zeit lernte ich lieben, was ich nicht ändern konnte. Es hat ja ein Gutes, sagte ich mir, der Logik der Realität nicht zu folgen, die Fäden, so es sie gibt, Fäden sein zu lassen, ohne daraus Handlungsstränge zu konstruieren, die einen vielleicht strangulieren, die Ketten literarischer Gewohnheit zu sprengen. Und jetzt behaupte ich trotzig: Es muss sein dürfen.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buches?
Es steht mir nicht zu, «Nil» eine Art Gebrauchsanweisung oder einen Beipackzettel mit auf den Weg zu geben, obwohl und weil mir noch kein unmöglicheres Buch passiert ist und ich mich damit weit aus dem Fenster lehne. Insofern hoffe ich auf Nachsicht und Verständnis.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Es ist die Fortschreibung einer Geschichte, die wohl kein Ende findet.


Anna Baar, «Nil», Roman, Wallstein Verlag,
Göttingen 2021, geb., 148 Seiten. Erscheint am 8. März 2021.

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