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Entre nous, Martin Prinz!
Martin, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Zuerst habe ich es nicht geschrieben. Lange Jahre lagen die ersten Unterlagen dazu auf meinem Schreibtisch, dann lagen sie auf dem Stapel des Nachtkästchens. Ich hatte Angst vor dem Stoff und wusste gleichzeitig, ich würde ihm nicht entkommen. So hatte das Schreiben begonnen, und es ging ins Leere, da es mehr Betroffenheit denn ein Blick war, aus dem ein Erzählen begonnen hätte. Bis ich im Archiv vor dem Reden der Täter saß.
Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Es geht um das Böse und seine Blindheit. Wenn in einem kleinen, noch verbliebenen NS-Gebiet südlich von Wien weiter gemordet und weiter denunziert wird, und dies nicht aus Gehorsam, sondern auch aus Freiwilligkeit geschieht, obwohl die Hauptstadt und die meisten Landesteile rundum bereits befreit worden sind, dann ist das ebenso bitter wie bezeichnend. Menschen sind nicht bloß verführbar für das Böse, sie lassen ihm selbst dann noch aus eigenem Antrieb freien Lauf, wenn Welt und Wirklichkeit rundum bereits deutlich machen, wie nah der Moment schon ist, in dem sie nicht nur zur Verantwortung gezogen werden, sondern mit den gerade noch Davongekommenen und den Nachkommen ihrer Opfer wieder Tür an Tür würden leben müssen. Davon erzählt mein Roman »Die letzten Tage«, indem er anhand der späteren Gerichtsprotokolle die Täter selbst reden lässt.
Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Ob für die dunkle Abbiegung, zu der die Welt ansetzt, Interesse noch der richtige Begriff ist, muss ich für mich ebenso in Frage stellen wie auch das Begreifen selbst. Ich bin gebannt und sehe mir dabei zu. Ich merke, dass ich den Geschehnissen rundum, ob in der Ukraine, in Israel, in den USA oder in Europa immer noch mit einer Wahrnehmung, Sprache und Analyse folge, die seltsam lächerlich erscheint. Als wäre ich die künstliche Intelligenz einer Zeit, die es nicht mehr gibt. Ich kann weder wegsehen noch still sein, doch mir fehlt der Begriff, so deutlich ich auch ahne, was geschieht.
Sind diese Themen für Dich neu oder ein Leitmotiv Deiner Arbeit?
Ja.
Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Mit dem falschen Gefühl, entronnen zu sein.
Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption Deines Buchs?
Nein. Das wäre eine völlige Verkennung des eigenen Schreibens. Wenn man am Ende der Arbeit das jeweils nächste Wort, den nächsten Satz schon kennt, ist man der einzige, der nie mehr Leser dieses Buches werden kann.
Wie würdest du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Das kann ich nicht. Ich könnte nur so tun als ob. Oder mit dem nächsten Buch eine Antwort geben.
Martin Prinz, »Die letzten Tage«, Roman,
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2025, geb., 272 S.