Sträuben

Entre nous, Simon Froehling!

Simon, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Angefangen habe ich es im griechischen Delphi, wo ich zwischen den beiden Covid-19-Lockdowns in den Ferien war. Nach der Veröffentlichung meines Debüts »Lange Nächte Tag« wurde bei mir eine bipolare Affektstörung diagnostiziert. Ich musste recht viele Medikamente nehmen, und meine Konzentrations- und Auffassungsfähigkeit war gleich null, weshalb ich lange dachte, es sei vorbei mit dem Schreiben für mich. Aber in Delphi fiel mir während eines Abendessens ein Satz ein oder zu, der mich nicht losliess und der meinen zweiten Roman, »Dürrst«, eröffnet: »Du bist gesund genug, dich zu verlieben.« Ich bin dann in einen Spätkauf und habe mir ein Heft besorgt, um weiterzuschreiben. Den grössten Teil des Buches habe ich aber an meinem Küchentisch in Zürich verfasst.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Ich spanne einen recht weiten Bogen und fächere das Leben des Konzeptkünstlers Andreas Durrer aka »Dürrst« auf, ein Zürcher Industriellensohn, der seit frühen Jahren so sehr unter psychischen Problemen leidet, dass er sich als Erwachsener immer wieder in stationäre Behandlung begeben muss. Seine vielversprechende Karriere kommt zum Erliegen, die Beziehung zu den Eltern bricht ab, eine Existenz droht, ausgelöscht zu werden. Bis Dürrst sich eben entscheidet, wieder gesund zu sein. Beide meiner Bücher sind sehr persönlich, wobei es mich nicht interessiert, mich schreibenderweise an meiner eigenen Biografie abzuarbeiten. Viel eher erlaubt mir das Schreiben, Fragen zu ergründen, denen ich nur in der Fantasie nachzugehen wage. Bei »Lange Nächte Tag« war es die Frage, woher das Verlangen kommt, sich dem eigenen Verderben hinzugeben – im Roman in Form einer Ansteckung mit HIV –, während es sich bei »Dürrst« sozusagen um die Umkehrung handelt: Was wäre, wenn ich mich weigern würde, meine psychische Krankheit anzuerkennen und mich stattdessen gegen sie sträubte? Als Metathema würde ich aber das Scheitern nennen. Das Scheitern als Motor, als kreative Kraft gar. Und auf der formalen Ebene beschäftigen mich seit je die beiden Phänomene des Erinnern und Erzählens selbst.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Mich beängstigt die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung, die durch die Covid-19-Pandemie nur verstärk wurde. Insbesondere auch bezogen auf die queere Community, der ich angehöre. Ich denke, es ist eine der Aufgaben der Literatur, sofern sie eine Aufgabe hat – darüber liesse sich gut streiten –, die Komplexitäten des menschlichen Daseins aufzuzeigen, die Vielschichtigkeit und auch die Vielstimmigkeit.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Ich bin einfach sehr dankbar, dass ich es nochmals geschafft habe, einen Roman zu schreiben. »Lange Nächte Tag« kam direkt nach meinem Abschluss am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel heraus. Ich hatte bereits einige Erfolge als Theaterautor gefeiert und war ziemlich ehrgeizig unterwegs. Es war also ein Buch für die Öffentlichkeit, während »Dürrst« in erster Linie einfach »mein« Buch ist, auch wenn das kokett klingt.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Ich hoffe, ich kann mit dem Roman einen Beitrag zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen leisten. Denn obwohl in der Schweiz immer mehr Menschen psychisch erkranken, sind wir noch nicht wirklich geübt darin, offen über das Thema zu sprechen. Das betrifft leider insbesondere auch die LQBTQIA+-Community. Es gibt diverse Studien, die aufzeigen, dass queere Menschen viel häufiger unter depressiven Störungen und Angst leiden und auch die Suizidrate rund fünfmal höher ist. Womit wir beim Begriff der Intersektionalität sind, der die Überschneidung und Gleichzeitigkeit von verschiedenen Diskriminierungs- und Stigmatisierungskategorien gegenüber einer Person beschreibt. Dieser ist auch im Zusammenhang mit Gewalt brisant, da über acht Prozent der Angehörigen sexueller Minderheiten in der Schweiz angeben, schon einmal Opfer körperlicher Gewalt gewesen zu sein. Zu all diesen Themen bietet »Dürrst« meiner Meinung nach viel Stoff für Gespräche.

Wie würdest Du es einordnen in die Folge Deiner Bücher?
Die Nummer zwei, die momentan meine persönliche Nummer eins ist.


Simon Froehling, »Dürrst«, Roman,
bilgerverlag, Zürich 2022, geb., 266 S.

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