Ein Experiment
Entre nous, Florian L. Arnold!
Florian, wo hast Du Dein Buch geschrieben?
Größtenteils in Leipzig und, man glaube es ruhig, in einem winzigen Häuschen in Nördlingen. Nördlingen liegt in einem ehemaligen Asteroidenkrater, das Häuschen ist aus dem 17. Jahrhundert und die Schreibmaschine, auf der viele Texte entstanden, war eine Hermes Baby aus den 1960ern. Sagen wir also: Ich habe das Buch in diesem Universum geschrieben (vermutlich).
Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Es geht tatsächlich um die Frage, was »Wirklichkeit« ist. Da jeder Moment unseres Lebens Konstruktion und Erzählung ist - wir lügen ja bis zu 200mal am Tag (ich noch öfter) - interessiert mich also immer die Schnittstelle von Fakt und Behauptung. In meinem Buch geht es um Wissenschafter, Scharlatane, Wahrheitssucher. Das sind (im Buch!) überwiegend Männer, Männer mit einer gewaltigen Hybris. Sie müssen scheitern. Oftmals sind sie Ab- oder Zerrbild von Figuren, die ich im Studium kennengelernt habe. In »Die Wirklichkeit endet an der nächsten Ecke»« will ein solcher Ehrgeizmann ein Lexikon des »gesammelten Nichtwissens« der Menschheit verfassen - und kommt bei diesem Unterfangen ums Leben. Andere treten an seine Stelle, schreiben daran weiter. Aber am Ende ist alles, was darin steht, gewaltiger und, ja, gefährlicher Unsinn. Wie gefährlich, merkt man im zweiten Erzählstrang: Da geht es um einen Menschen, der die Worte aus der Welt stiehlt. Die Sprache bricht zusammen, die Realität bricht zusammen.
Was ich, nach heutigem Stand der Dinge, als »Wirklichkeit« bezeichnen würde.
Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Jeden Tag interessieren mich tausend Dinge. Letzte Woche habe ich mir alles mögliche über das Tunguska-Ereignis zusammengelesen, gleichzeitig Architekturzeitschriften gescannt. Gestern Lyrik vom »Versensporn Jena« verschlungen (deren Förderverein heisst »Poesie schmeckt gut«, ist das nicht hinreißend?). Dann musste ich für einen Schreibkurs etwas vorbereiten - und landete bei Voltaire. Voltaire fesselt mich endlos, ich hätte ihn gern getroffen.
Ich sollte vielleicht so antworten: Es gibt auch ein paar Dinge, die mich nicht interessieren. Börsenkurse zum Beispiel.
Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Ich kreise immer um die gleichen Themen, in allen Büchern. Das darf nur keiner merken. Aber ich verrate es, wir sind ja entre-nous! Nun: Leitmotive sind sicherlich Sonderlinge, weil sie die Welt mit ungewohnten und darum frischen Perspektiven versorgen. Ein weiteres Leitmotiv ist die Conditio Humana; wie Menschen sich durch Widrigkeiten kämpfen, wie sie mit sich selbst umgehen, mit Unauflösbarem, mit Unerklärlichem. Das Unerklärbare ist kostbar. Nichts ist trauriger als ein gelöstes Rätsel. Darum schafft Gott (oder wer immer dieses Universum ausgedacht hat) für jede Antwort hundert neue Fragen. So muss es auch in der Literatur sein: Ein paar gute Erklärungen und hunderte, tausende von neuen Mysterien und Wundern.
Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Nun ja - welche Niederschrift? Nummer eins, zwei ... vier ... ?? - Da sind wir bei einer spannenden Frage. Es gab viele Fassungen, drei handschriftliche, viele digitale. Und ich habe noch beim Layoutprozess ergänzt und gekürzt (der arme Verleger!). Ich kann sagen, daß die schönste Schreibphase das rauschafte Ersinnen der Erst- oder Urfassung war. Das war im Sommer 2008, und ich hätte hinterher nicht sagen können, wie dieser voluminöse Text entstanden ist. Ich weiß es noch immer nicht.
Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Wenn Leser:innen ein anhaltendes, durchaus nicht unangenehmes Schwindelgefühl empfinden, bin ich ganz zufrieden.
Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Publikationen?
Ein Solitär. Ein Experiment. Ein Querschläger. Etwas, das so nie wieder passiert. Das nächste Buch wird vollkommen anders. Wie immer.
(Foto: Bruno Tenscher)
Florian L. Arnold, »Die Wirklichkeit endet an der nächsten Ecke«,
Roman, Axel Dielmann Verlag, Frankfurt/Main 2022, geb., 232 S.