Moral und Gesundheit

Entre nous, Ursula Fricker!

Ursula, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
»Gesund genug« ist, wie eigentlich keins meiner Bücher zuvor, ausschließlich daheim in Buckow/Märkische Schweiz entstanden, quasi festgetackert an Stuhl und Schreibtisch. Es war Corona-Frühjahr 2020, mein soeben fertiggestelltes voriges Romanmanuskript lag bei der Agentur bzw. verschiedenen Verlagen und niemand wusste, ob, wann und wie es weitergehen würde. So begann ich mit der Arbeit an »Gesund genug« komplett ins Blaue hinaus. Und es war trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) ein gutes, befriedigendes Arbeiten. Einzige Ablenkungen in der Zeit waren Waldspaziergänge mit dem Hund, gelegentliche Draußentreffen mit Freunden, einkaufen in einem (schon zu normalen Zeiten) so gut wie ausgestorbenen Provinznest paar Kilometer weiter.

Worum geht es, Deiner Meinung nach in Deinem Buch?
Kurz und knapp: Um das Falsche im Richtigen. Hannes Vater will alles »Ungesunde, Unreine« von sich und seiner Familie fernhalten. Sein erklärtes Ziel ist eine makellos gesunde Lebensweise. Letztlich nicht um der Gesundheit Willen, sondern als moralische Leistung. Das eigentlich Erstrebenswerte kippt in eine unmenschliche, antiliberale Haltung. In Eifer, Zwang, Fanatismus. Und nun ist dieser Mann, der doch nichts falsch gemacht hat, todkrank, ausgerechnet Darmkrebs. Genugtuung für seine Tochter Hanne?

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren dich derzeit grundsätzlich?
Wie oben schon kurz angerissen, ist moralischer Rigorismus, Ab- und Ausgrenzung und sich daraus ergebende Machtansprüche ein Themenkomplex, der mich tatsächlich schon sehr lange begleitet; die gute Intention, die sich in ihr Gegenteil verkehrt.
In der Zeit, in der »Gesund genug« spielt, den 70er, 80er Jahren, waren eine nachhaltig-gesunde Lebensweise, Umweltschutz, noch weit entfernt vom Mainstream. Das bedeutete, dass ein gewöhnlicher »Büezer«, wie Alwin Tobler einer war, sich mit diesem Gesundheitsfimmel zwar unbeliebt machte, sich aber auch als eine sehr besondere, im Zweifelsfall moralisch überlegene Person begreifen durfte. Zumal er sich dadurch auch gut als Opfer (der rücksichtslosen Autofahrer, Raucher etc.) inszenieren konnte. Und er hat gemerkt, dass, weil er ja das Gute will, keiner wagt, ihm Grenzen zu setzen. Je mehr Rücksicht sein Umfeld nahm, je vorauseilender der Gehorsam wurde, desto empfindlicher wurde er – bis hin zu den absurdesten Ansprüchen.
Insofern verfolge ich die aktuellen Empfindlichkeits-Diskurse schon mit einem sehr offenen Auge und Ohr. Im Zusammenhang damit interessiert mich aber auch das weltweit zu beobachtende Phänomen der Rückkehr des Religiösen in den unterschiedlichsten Ausprägungen, der Ausformung unduldsamer Extreme.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv Deiner Arbeit?
Sie sind von Beginn an meine Begleiter, sie prägen meine Wahrnehmung der Welt, sie fordern Reflexion, Widerspruch, jedes meiner Bücher hat auf die eine oder andere Weise mit dieser Thematik zu tun.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Mit guten. Vielleicht gerade, weil es ein so fatalistisch-freies Arbeiten war. Ich habe vieles ausprobieren können, z.B. die Form der beiden Erzählstränge: Einmal die im Präteritum gehaltene Erzählung am Sterbebett des Vaters, gegengeschnitten mit den im Präsens erzählten Entwicklungsflashs von Hanne, die sich inhaltlich ergänzen und gegenseitig weitertreiben. Das hat viel Freude gemacht. Die Zweifel kamen erst, als das Fremde begann, sich zu vertraut anzufühlen. Aber das ist auch gut so, man begibt sich dann wieder auf die Suche, im besten Fall abseits, im Dickicht.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buches?
Dass meine Intention wahrgenommen wird. Wurde sie auch schon, inzwischen sind ja schon einige Besprechungen erschienen, in denen, für mich beglückend, auf Aspekte, die mir besonders wichtig sind, eingegangen wird. U.a. empfinde ich es, neben der doch recht ernsthaften Thematik, auch als ein versöhnliches, ein humorvolles Buch.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Es ist, zusammen mit meinem Debüt von 2004, »Fliehende Wasser«, das Buch, das am engsten mit meiner Geschichte verwoben ist, autofiktional, würde man es wohl nennen. Und gleichzeitig ist es das Buch, das ich beim Schreiben am intensivsten mit fremden Augen habe sehen müssen. Ich habe relativ viel Zeit und Mühe darauf verwendet, eine Form zu finden, die mir nicht zu nahekommt. Das klingt erstmal widersprüchlich, da es ja aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, hat damit aber wenig zu tun. Die Distanzierung geschieht eher über Leerstellen, Auslassungen, mit Hilfe der beiden Stränge, die einen zu linearen Erzählmodus konterkarieren. Und, vielleicht das Schönste für mich ganz persönlich, es ist ein Buch, von dem ich in mancher Hinsicht viel gelernt habe.


Ursula Fricker, »Gesund genug«, Roman,
Atlantis, Zürich 2022, geb., 240 Seiten.

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