Dialog mit Tesla

Entre nous, Alida Bremer!

Alida, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Dank eines Stipendiums der Berliner Akademie der Künste war ich in New York, um nach den Spuren meines Protagonisten zu suchen, und dort ist der erste Teil des Romans »Tesla oder Die Vollendung der Kreise« entstanden. Den zweiten Teil habe ich an meinem Schreibtisch in Münster geschrieben, von dem ich einen schönen Blick in den Garten genießen konnte. Den dritten Teil habe ich in Zagreb verfasst, wo ich mit einem Stipendium des kroatischen PEN-Zentrums in einer kleinen Altbauwohnung allein mit meinem Text war; ab und zu ging ich in das Museum »Nikola Tesla«, außerdem hatte ich das Privileg, einen ganzen Tag mit einem Urenkel von Teslas Schwester Angelina zu verbringen. Den vierten Teil habe ich in Husum geschrieben, wo ich im dortigen »Nissenhaus« ein Porträt von Nikola Tesla aufgespürt habe.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Es geht um verschiedene Wege der Erkenntnis und um das Verhältnis zwischen Naturwissenschaften, Literatur, Geschichte und individuellen menschlichen Schicksalen. In Physik, Biologie und Technik entdecken meine Helden Poesie und umgekehrt, die Literatur wird von den Errungenschaften der Wissenschaften beflügelt. Ein Beispiel ist der Umgang mit dem Begriff der Zeit – von der Relativitätstheorie über den Okkultismus bis hin zur Medizin und zur Literatur versuchen wir Menschen, die Zeit – und die eigene Vergänglichkeit – zu begreifen, zu beschreiben oder gar aufzuhalten. Außerdem geht es um historische Begebenheiten. Die Epoche zwischen 1905 und 2023, die ich im Roman erfasst habe, ist eine Epoche der politischen Irrungen und der Kriege, die für meinen Protagonisten ernsthafte Folgen haben.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Erkenntnis und Wissen im Dienst der Menschheit, Dialog zwischen den Wissenschaften und Künsten, überhaupt der Dialog. Mehr Austausch, weniger Selbstsicherheit und weniger Verherrlichung der eigenen Position würde uns allen guttun. Unsere aktuellen Probleme – ob ökologischer oder politischer oder psychologischer oder sozialer Natur – werden wir nur lösen können, wenn wir als Individuen und als Gesellschaften weiser werden, und das bedeutet auch, dass wir uns unseres Unwissens bewusst werden. Wir leben in einer Zeit, in der uns nicht nur alle Informationen zugänglich sind, sondern uns die künstliche Intelligenz in einer Sekunde jede Antwort zusammenstricken kann, und wir Menschen beginnen allzu schnell zu glauben, dass wir mit einigen Recherchen im Internet alles zu einem Thema begriffen haben. Deshalb werden wir häufig rechthaberisch, streitsüchtig und ausschließend, wir bilden uns allzu einfach ein, alles über ein Thema zu wissen. Sokrates würde sich über unsere zeitgenössischen Gewissheiten sehr wundern.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Ich kann nur schreiben, wenn ich mein Schreiben mit der Recherchearbeit verbinde, daher ist dieses Verhältnis zum Wissen ein Leitmotiv in meiner Arbeit. Es passt auch gut zu meinen verschiedenen Interessen: Um die Stereotype über den Balkan zu dekonstruieren, die bisweilen im deutschsprachigen Raum herrschen, habe ich selbst historische, kulturologische und geopolitische Recherchen betreiben müssen. Als ich mich mit der Geschichte und Theorie des Kriminalromans beschäftigte, lernte ich, dass diese Gattung mit den modernen, wissenschaftlich basierten Methoden in der Polizeiarbeit entstanden war. Die zeitgenössische Literatur kommt mir dagegen häufig wie getrennt von den Erkenntnissen der Wissenschaft vor, als ob diese nicht von Bedeutung für unser Leben wären. Das finde ich befremdlich. Heutzutage ist es auch üblich, dass Menschen über die Medizin diskutieren, ohne zumindest Grundkenntnisse in der Molekularbiologie, Physiologie, Chemie, Pharmakologie zu haben. Das Schlimmste ist, dass sie nicht wissen, wie wenig sie wissen. Nicht, dass ich persönlich viel davon verstehe. Aber ich halte es mit Sokrates: Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Mit einer seltsamen Zufriedenheit: Die Recherchen zu diesem Roman haben mehrfach gedroht, ins Unermessliche auszuufern und mich unter sich zu begraben, deshalb staune ich immer wieder aufs Neue, wenn ich mir die schöne Ausgabe mit dem geheimnisvollen Foto auf dem Cover anschaue: Dieser Roman ist tatsächlich fertig! Ich fühle mich glücklich.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?

Ich bin mir bewusst, dass viele Menschen im deutschsprachigen Raum nicht wissen, wer der Erfinder Nikola Tesla war. Es würde mich freuen, wenn mein Buch nicht nur diese Lücke schließen könnte, sondern auch, wenn sich die Leser:innen mit dem Arzt Anton Matijaca anfreunden würden, aus dessen Perspektive der Roman erzählt ist, und wenn sie aus seinem Schicksal und seinem Lebensweg – er war eine Art »Hans im Glück« – etwas für sich und für ihre eigenen Lebenswege gewinnen würden. Weiter würde es mich freuen, wenn jemand bemerken wurde, dass eine Frau einen Roman über die Freundschaft zwischen drei Männern geschrieben hat; mein Roman ist ein sehr männlicher Roman, denn Literatur bedeutet für mich die Freiheit, ungeachtet meiner persönlichen Identität im Jahr 1905 einem männlichen Protagonisten durch die Straßen New Yorks zu folgen.

Wie würdest Du das Buch einordnen in der Reihe Deiner Publikationen?
Alle meine drei Romane sind dank umfangreicher Recherchearbeit entstanden, in allen bin ich in die Vergangenheit eingetaucht, mit der Absicht, auch etwas über unsere Zeit auszusagen. Dennoch sind alle drei sehr verschieden: »Olivas Garten« ist der persönlichste von allen, »Träume und Kulissen« hat Elemente eines postmodernen Spiels mit dem Genre, er ist ein sehr politischer Roman, auch wenn man das nicht auf den ersten Blick sehen muss, und »Tesla oder Die Vollendung der Kreise« ist vorläufig mein bester Roman, oder zumindest glaube ich das heute, nur wenige Wochen nach dem Erscheinen des Buchs.


Alida Bremer, »Tesla oder Die Vollendung der Kreise«,
Roman, Jung und Jung Verlag, Salzburg 2023, Geb., 397 S.

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